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Montag, 21. Juli 2014

Das Selfie von Auschwitz

Was sehen wir?

Ein Mädchen, lachend, Musik auf den Ohren.
Sie steht mitten in Auschwitz, früher den polnischen Zwangsarbeitern zugewiesen, ab 1942 jedoch das größte, wenn nicht auch bekannteste Vernichtungslager des Dritten Reiches.

Dieses Mädchen erlebte eine unglaubliche Hetzkampagne.

Wieso lacht sie an solch einem grausamen Ort? 
Wie kann sie so respektlos sein?
Wie ungebildet kann ein Mensch sein, sich zu so etwas hinreißen zu lassen?
Man solle sie schütteln.
Sie solle sich auf den Boden legen und ausziehen und Ihr geschichtliches Wissen solle dabei abgefragt werden. Für jede falsche Antwort gäbe es einen Schlag. Das wäre hautnaher Geschichtsunterricht.
Sie sei Satans dumme Tochter.
Die erste, die duschen gehen solle.
Und hier befinde ich mich noch auf dem netteren Zweig dessen, was all jene an Meinungen äußern, welche grenzwertig sind.

Nun nämlich einmal zu den Fakten.
Dieses Mädchen weiß sehr wohl, wo es sich befindet.
Sie hat über mehrere Jahre hindurch mit ihrem Vater die Gräueltaten der Nationalsozialisten studiert, sich belesen und sie gaben sich das Versprechen diesen Ort der Grausamkeit gemeinsam zu besuchen, um die trockenen Zahlen mit Leben zu füllen, welches so viele unschuldige Menschen dort zurück lassen mussten.
Ein Versprechen, welches sie nicht mehr in der Lage waren einzuhalten.
Ihr Vater verstarb.

Also beschloss sie, diese Reise allein zu unternehmen. Diese Reise war für sie sehr wichtig, weil sie hierbei auch Ihren Vater ein Stück gehen ließ. Und sie machte dieses Foto, angekommen an jenem Ort, der einst ein Versprechen beinhaltete. Und sie war darüber glücklich. Sie hatte das Ziel einer langen Reise erreicht. Vielleicht eben eine Reise zu sich selbst.
An diesem Bild ist nichts respektloses oder verherrlichendes zu erkennen. Es ist ein Mensch, der lächelt. An einem Ort, an welchem unzähligen Menschen das Lächeln geraubt wurde. Mit diesem Lächeln kehrte Glück ein, in eine traurige Szenerie.
Sie postete das Foto auf Twitter, teilte es mit ihren Followern. Viele von Ihnen wussten um ihre Geschichte, favorisierten und teilten es. Und dann ging die Welle los. Weil nun eben auch all jene, welche nicht um die Geschichte dahinter wussten dieses Bild mit ihren verkorksten Weltanschauungen weiter teilten. Und nun war diese wundervolle Erinnerung an Ihren Vater verdorben von Menschen, die sie nicht einmal kannte.

Und als ich all das las, mich damit beschäftigte, bevor ich lauthals auf einen Zug aufsprang, war ich traurig. Um ihre beraubte Erinnerung. Über so viel Verachtung und fehlende Menschenwürde.
Alle zeigten mit erhobenen Finger auf sie. Und mir wurde klar, wir sind weit davon entfernt diese Fehler nicht wieder zu begehen. Weil wir uns immer noch von der Meinung der Massen beeinflussen lassen, anstatt zu hinterfragen. Weil wir immer einen Anführer brauchen, dem wir später die Schuld geben können.
Und wenn wir dann WISSEN, warum auch entschuldigen? Wir waren es ja nicht. Manchmal ist es auch die jüngere Geschichte, welche lehrreich ist. Und diese hier, hat mich gelehrt, gegen das Vergessen anzukämpfen. Für etwas einzustehen, wenn es offenkundig ungerecht ist.

Auschwitz war nicht durchorganisiert, weil EINER die Idee hatte. Sondern weil unzählige Schafe hinterher liefen oder sich antreiben ließen. Weil sie glaubten, etwas besseres zu sein. Weil sie Machthungrig und Rachsüchtig waren. Weil sie ihre eigene Frustration verteilen mussten um im Anschluß laut rufen zu können: "Wir haben nichts gewusst."
Und noch heute wird fleißig ein Märchen geteilt, welches es so nicht gibt.
Und erreicht wird nur eins.

Das Breanna Mitchell diese Erinnerung nie wieder glücklich mit ihrem Vater verbinden kann.

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